Die wohl beeindruckendste Figur des brasilianischen Episkopats war Dom Vital Gonçalves de Oliveira O.F.M. Cap., der 1844 im Bundestaat Pernambuco im Nordosten von Brasilien geboren wurde.
Als 19-Jähriger trat er in Paris in das renommierte Seminar St. Sulpice ein, das schon viele apostolische Männer hervorgebracht hat, wie etwa die heiligen Ludwig von Montfort oder Eugene de Mazenod, um nur zwei der bekanntesten zu nennen.
Nach einiger Zeit trat er in Toulouse in den Kapuzinerorden ein und empfing mit 24 Jahren die heilige Priesterweihe. Nach seiner Rückkehr in die Heimat lehrte er Philosophie am Diözesanseminar von São Paulo.
Es mag sein, dass Dom Vital, wie er gemeinhin genannt wird, der jüngste Bischof der Neuzeit ist, denn bereits mit 27 Jahren wurde er auf Wunsch des Kaisers von Brasilien, Pedro II., zum Bischof von Olinda ernannt (zum Vergleich: der momentan jüngste Bischof, Msgr. Vodopjanovas O.F.M., wurde mit 38 Jahren ernannt).
Der selige Papst Pius IX. stimmt diesem Wunsch zu und lies Dom Vital konsekrieren.
Ironischerweise sollten der junge Mönch und der Kaiser bald Widersacher in einem Streit werden, der schließlich ganz Brasilien in eine politische Krise stürzte.
Damals hatten die Irmandades, katholische Laienbruderschaften, großen Einfluss in Brasilien und waren in der Diözese Olinda im Besitz einiger kirchlicher Einrichtungen.
Leider waren diese Bruderschaften stark mit Freimaurern durchsetzt, die sich anscheinend nicht um die Weisungen der Kirche kümmerten, dass man nicht gleichzeitig Katholik und Freimaurer sein kann.
Die freimaurerische Presse ging so weit, Namen von Mitgliedern der Bruderschaft zu veröffentlichen, die gleichzeitig Freimaurer waren, anscheinend, um den jungen Bischof zu provozieren.
Dom Vital richtete sich daraufhin an die Pfarrer, die Bruderschaften aufzufordern, allen Mitgliedern, die nicht der Freimaurerei abschwören würden, die Mitgliedschaft zu entziehen.
Nach dreimaliger Ermahnung veröffentlichte er am 19. Januar 1873 ein Interdikt gegen alle Bruderschaften, die sich geweigert hatten, die Freimaurer aus ihren Reihen zu entfernen.
Die Spendung der Sakramente in ihren Kapellen und Oratorien wurde untersagt.
Die Bruderschaften wendeten sich mit ihrem Protest an den Kaiser. Die Kirchenstrafen wären nicht gültig, da es sich hier auch um eine Angelegenheit bürgerlichen Rechts handele und der Kaiser, wie es die Verfassung verlangte, nie sein Placet zu den päpstlichen Dokumenten gegeben hatte, die die Exkommunikation von Freimaurern vorsehen.
Eine solche Anmaßung wurde vom Vatikan stets abgelehnt, war aber für das damaligen Kaiserreich Brasilien, wo der Katholizismus die Staatsreligion war, keine Besonderheit, da der Kaiser auch Bischöfe ernannte, den Unterhalt der Priester bezahlte und sich eben anmaßte, päpstliche Dokumente zu ratifizieren.
Ein weiterer ehemaliger Zögling von St. Sulpice, Bischof Antonio de Macedo Costa von Belem, folgte Dom Vital und ging ebenfalls gegen die Bruderschaften in seiner Diözese vor. Der Papst unterstützte das Vorgehen der Bischöfe mit seiner Enzyklika Quamquam Dolores.
Das Ganze entwickelte sich nun zu einer Staatsaffäre. Ein Staatsrat unter Vorsitz von Kaiser Pedro erkannte die Gültigkeit der päpstlichen Dokumente für Brasilien nicht an und gab den Bruderschaften recht, da in diesem Fall auch bürgerliche Gesetze betroffen seien. Zudem wird wohl auch Premierminister José Paranhos, Visconte von Rio Branco, als hochrangiger Freimaurer Interesse daran gehabt haben, dass die Bischöfe ihre Bannstrafen zurückzogen.
Dom Vital wurde wegen Aufbegehrens gegen den Staat angeklagt und im Marinearsenal in der damaligen Kaiserstadt Rio de Janeiro inhaftiert. Der Bischof protestierte öffentlich gegen diese Ungerechtigkeit.
Dom Vital wohnte der Gerichtsverhandlung schweigend bei, zumal er die Autorität des weltlichen Gerichts in dieser kirchlichen Angelegenheit nicht akzeptierte. An seiner Seite waren der Bischof von Rio de Janeiro und der Apostolische Vikar von Kansas City. Obwohl sich zwei herausragende Anwälte seines Falls annahmen, wurde Dom Vital zu vier Jahren Haft verurteilt. Dasselbe Schicksal ereilte Dom de Macedo Costa.
Der Papst schickte einen tröstenden Brief an den Bischof von Olinda, indem er ihn an den Schutz des Heilands erinnerte, der das Rufen seiner Braut (der Kirche) in ihrer Verfolgung nicht verschmäht.
Den inhaftierten Bischöfen galt die Sympathie der brasilianischen Katholiken, die bis dahin (und leider auch heute noch) im Ruf der Lauheit standen. Gleichzeitig blieben die bischöflichen Beschlüsse weiter in Kraft, da die Behörden nichts gegen sie zu tun vermochten.
Der öffentliche Druck führte dazu, dass die brasilianische Regierung unter dem Visconte von Rio Branco resignierte und der Herzog von Caxias, ein hochdekorierter Kriegsveteran, der ebenfalls Katholik und Freimaurer war, vom Kaiser gebeten wurde, ein neues Kabinett zu bilden.
Auf seine Rücktrittsdrohung hin gewährte der Kaiser den Bischöfen schließlich eine Amnestie. Nach über einem Jahr Festungshaft wurden sie entlassen.
Dom Vital ging nach Rom und bat den Heiligen Vater, ihn von seinem Amt zu entbinden. Dieser lehnte jedoch ab, er wusste wohl, was für einen Segen dieser Mann noch bringen konnte.
Doch Gott hatte andere Pläne: Dom Vital musste nach einem kurzen Aufenthalt in Olinda aus gesundheitlichen Gründen nach Paris abreisen, wo er im Kapuzinerkloster von Versailles mit 33 Jahren verstarb.
Der Seligsprechungsprozess dieses furchtlosen Bischofs wurde 1994 von der Erzdiözese Olinda-Recife mit Nihil Obstat („es steht nichts entgegen“) wiedereröffnet.
Der politische Streit zur Einmischung des Staates in religiöse Angelegenheit wurde als „Questão religiosa“ bekannt und wird als einer der Gründe für den Fall des Kaisertums in Brasilien genannt.
Quelle: Blog die „Die auswärtigen Missionen“