Jede Unterdrückung eines Verlangens nach Vergnügen und Ergötzung ist ein Fasten, wenn sie in der Liebe Gottes ihren Grund und die Förderung dieser Liebe zum Zweck hat. Jede willige Ertragung eines Ungemachs, das der Sinnlichkeit lästig und zuwider ist, gehört zum Fasten. Das friedliche Auskommen mit reizbaren und unverträglichen Menschen, die Unterdrückung jedes unnötigen Verweises, das Schweigen bei Schmähungen, die ungerecht über uns ergehen, das Zufriedensein mit dem Wenigern und Schlechtern – das alles gehört zum Fasten im weiteren Sinne des Wortes. Alle Übungen der Demut und Sanftmut sind Übungen des Fastens; denn durch sie wird der böse Zunder der Begierlichkeit in uns abgeschwächt und immer mehr ausgelöscht, und durch sie wird die Herrschaft des Geistes über das Fleisch befestigt.
Gehen wir auf den Ursprung dieser Unordnung in uns, auf den Ursprung der bösen Begierlichkeit zurück, so finden wir denselben in der Lüsternheit nach der verbotenen Frucht und im Genusse derselben.
So kommen wir denn zum Fasten im engeren Sinne des Wortes. Es ist die Enthaltung vom Genusse der Speisen und Getränke für eine bestimmte Zeit. Von dieser Übung der Selbstverleugnung und Abtötung finden wir überall Spuren, wo immer die Störung der ursprünglichen Ordnung geahnt, und die Schmach der durch die Sünde gewordenen Unordnung gefühlt wurde. Nur wo der Mensch seine höchste Auszeichnung nicht mehr kennt und sich vom unvernünftigen Tiere nicht mehr unterscheiden will, nur da verlieren sich alle Spuren vom Fasten.*
Quelle: In „Herz Jesu Blog“ aus: Das kirchliche Leben des katholischen Christen – ein Unterrichtsbuch für das christliche Volk, von Dr. Magnus Jocham, Professor der Theologie, mit Gutheißung des hochwürd. Erzbischöfl. Ordinariats München-Freising, 1859