Alle irdischen Güter, die höchsten Würden, Silber und Gold und die kostbarsten Edelsteine verlieren, auf dem Totenbett betrachtet, ihren Glanz: der finstere Schatten des Todes verdunkelt selbst Zepter und Kronen und läßt alles, was die Welt schätzt, nur als Dunst, Kot, Eitelkeit und Elend erscheinen. Und in Wahrheit, was nützen im Tode die Reichtümer, die der Sterbende sich erworben, wenn ihm nach dem Tode nichts bleibt als ein hölzerner Sarg, in den er gelegt wird, um zu verfaulen? Was nützt die gepriesene Schönheit des Leibes, wenn von diesem nichts bleibt als eine Handvoll übelriechenden Staubs und fleischlose Knochen?
Was ist das Leben des Menschen auf Erden? Hört, wie der heilige Jakobus es beschreibt: „Was ist euer Leben? Ein Dunst ist es, der eine kurze Zeit erscheint und dann verschwindet“ (Jak 4, 15). Jener Große ist heute geachtet, gefürchtet, gepriesen, morgen wird er verachtet, gelästert und verwünscht: „Ich sah den Gottlosen überaus erhöht… und ich ging vorüber, und siehe, er war nicht mehr“ (Ps 36, 35.36). Er ist nicht mehr dort in seinem geliebten Landhaus, in jenem großen Palast, den er sich gebaut; wo ist er denn? Im Grabe, zu Staub geworden!
„Statera dolosa in manu ejus sie hat eine trügerische Waage in der Hand“ (Os 12, 7). Mit diesen Worten warnt uns der Heilige Geist, von der Welt uns nicht täuschen zu lassen, da sie die Güter mit ihrer falschen Waage wäge. Wir sollen vielmehr alles auf der rechten Waage des Glaubens wägen, der uns die wahren Güter erkennen läßt, zu welchen aber jene, die bald vergehen, keineswegs gehören. Die heilige Theresia sagt: „Auf Dinge, die mit dem Tode enden, darf man keinen Wert legen.“ O Gott! Was ist wohl Großes noch übrig von so vielen ersten Staatsministern, von so vielen Feldherrn, Fürsten und römischen Kaisern, jetzt, wo für sie das Schauspiel zu Ende und die Ewigkeit angebrochen ist. „Verschwunden ist ihr Andenken mit dem Schalle“ (Ps 9, 7). Sie spielten in der Welt eine große Rolle, ihr Name erscholl überall, aber mit ihrem Tode war Rolle, Name und alles zu Ende. Hier findet die Inschrift, die auf einem Gottesacker, wo mehrere große Herren und Damen begraben liegen, zu lesen ist, ihre passende Stelle:
Sieh, welches Ziel der Größe ist beschieden,
All‘ ird’schen Pomp, der Schönheit der Gebärde:
Gewürme, Tränen, Stein, ein Häuflein Erde,
Begrenzt des Lebens flücht’gen Traum hienieden.
„Praeterit figura hujus mundi die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7, 31). Unser Leben ist, kurz gesagt, nichts anderes als ein schnell endender Auftritt in einem Schauspiel; und für alle wird es enden, für den Edelmann wie für den Bauersmann, für den König wie für den Untertan, für den Reichen wie für den Armen. Selig, wer in diesem Schauspiel seine Rolle gut vor Gott gespielt! König Philipp III. von Spanien starb in dem jugendlichen Alter von zweiundvierzig Jahren; vor seinem Tode sprach er zu den Umstehenden: „Wenn ich tot bin, so verkündigt das Schauspiel, das ihr jetzt seht; verkündigt, daß dem König auf dem Totenbett der Gedanke an seinen Thron zu nichts anderem dient, als ihn mit Gewissensangst über seine Regierung zu erfüllen.“ Und dann schloß er seufzend mit den Worten: „O wäre ich diese Zeit hindurch in einer Wüste gewesen, um mich mit meiner Heiligung zu beschäftigen: gewiß ich würde jetzt mit größerem Vertrauen vor dem Richterstuhl Jesu Christi erscheinen.“
Bekannt ist, zu welcher Lebensänderung den heiligen Franz von Borgias der Anblick des Leichnams der Kaiserin Isabella bewog, die im Leben überaus schön war, nach dem Tode aber jeden, der sie sah, mit Schauder erfüllte. Darum sagte damals Borgias: „So also enden die Güter der Welt.“ Darauf schenkte er sich ganz Gott. O daß wir alle, ehe der Tod uns ereilt, seinem Beispiel folgten. Laßt uns aber nicht zögern; denn der Tod ist bereits auf dem Wege und der Augenblick seiner Ankunft ist uns verborgen. Lassen wir es nicht dahin kommen, daß uns von der Erleuchtung, deren uns Gott jetzt würdigt, in jener Stunde, wo wir die Sterbekerze in der Hand halten, nur die Gewissensbisse und die Rechenschaft, die wir Gott abzulegen haben, übrig bleiben. Entschließen wir uns, jetzt zu tun, was wir dann wünschten, getan zu haben, aber nicht mehr tun können.
Nein, mein Gott! Du hast mich lange genug ertragen: ich will Dich nicht länger warten lassen, mich Dir geschenkt zu sehen. Du hast mich wiederholt gerufen, mit der Welt zu brechen und mich deiner Liebe ganz zu weihen. Jetzt rufst Du wieder; da bin ich, nimm mich auf in deine Arme: in diesem Augenblick gebe ich mich Dir ganz hin. O makelloses Lamm, das auf dem Kalvarienberg am Kreuze sterbend sich für mich geopfert, wasche mich vorerst in deinem Blute und vergib mir alle Dir zugefügten Unbilden und entflamme mich dann mit deiner heiligen Liebe. Ich liebe Dich über alles, ich liebe Dich mit ganzer Seele. Und was könnte ich auch in der Welt finden, das mehr Liebe verdiente und mich mehr geliebt hätte als Du? Maria, Mutter Gottes und meine Sachwalterin, bitte für mich und erlange mir eine wahre und beständige Lebensänderung; ich vertraue auf Dich.
Aus dem Buch „Elemente einer Spiritualität der Liebe“