Das
Wort Meditation kommt in der Heiligen Schrift häufig vor und will nichts anders
sagen als ein aufmerksames und wiederholtes Nachdenken, das geeignet ist, gute
oder schlechte Empfindungen in uns zu erzeugen…
Jede
Meditation ist ein Nachdenken, aber nicht jedes Nachdenken ist Meditation. Oft
haben wir Gedanken, denen der Geist sich planlos oder ohne irgendeine Absicht
zuwendet, nur in der Art eines bloßen Vergnügens, ähnlich wie wir gewöhnliche
Insekten bald hier, bald da auf Blumen fliegen sehen, ohne daß sie etwas aus
ihnen herausholen. Solch eine Art Nachdenken kann, so aufmerksam es auch sein
mag, nicht den Namen Meditation beanspruchen, sondern muß schlicht Denken
genannt werden.
Manchmal
denken wir auch aufmerksam über etwas nach, um Ursache, Wirkungen,
Eigenschaften kennenzulernen, diese Art Denken heißt Forschen.
Aber
wenn wir an die göttlichen Dinge denken, nicht um sie zu erforschen, sondern um
sie zu empfinden, so heißt das meditieren. Kurz gesagt befassen sich Denken und
Forschen mit allen möglichen  Dingen,
aber die Meditation – so, wie wir sie hier verstehen – befasst sich nur mit
Gegenständen, deren Erwägung uns gut und gottnah machen kann. So ist Meditation
nichts anderes als ein aufmerksames, wiederholtes oder bewusst festgehaltenes
Nachdenken im Geist, mit dem Ziel den Willen anzuregen zu Empfindungen und
Entschlüssen, die mit unserem Heil zu tun haben…
Die
Seele geht in der Meditation von Mysterium zu Mysterium, nicht nur obenhin oder
zum Trost zu finden beim Anblick der bewundernswerten Schönheit dieser
göttlichen Dinge, sondern planvoll und mit der Absicht, Grund und Liebe oder
einer anderen gottnahen Empfindung zu entdecken.
Wer
das Himmlische liebt, fliegt wie die mystische Biene im Hohen Lied bald auf die
Augen, die Lippen, die Wange, das Haar des Geliebten, um die Süße tausend
liebevoller Herzensbewegungen davonzutragen, wobei die Biene bis ins einzelne
bemerkt, was es da an seltenen Köstlichkeiten gibt: brennend in heilige Liebe
redet sie mit dem Geliebten, fragt ihn, hört ihn, seufzt, atmet auf, bewundert
ihn. Er aber, den sie liebt, erfüllt sie seinerseits mit Zufriedenheit, haucht
sie an, berührt und öffnet ihr Herz und verbreitet Klarheit und Erkenntnis,
Licht und Wonne ohne Ende in ihrem Herzen, aber auf so geheime Weide, daß man
von diesem Gespräch der Seele mit Gott sagen kann, was die Schrift vom Gespräch
zwischen Gott und Moses berichtet: als Moses allein auf dem Gipfel des Berges
stand, sprach er zu Gott, und Gott gab ihm Antwort.
Kontemplation
ist nichts anderes als eine liebevolle, einfache und bleibende Aufmerksamkeit
des Geistes für göttliche Dinge. Die jungen Bienen werden Nymphen genannt, bis
sie selbst Honig bereiten, dann erst nennt man sie Bienen. Ebenso nennt sich
das Gebet Meditation, bis es den Honig der Gottesnähe hervorbringt, dann
wandelt es sich in Kontemplation. Die Bienen fliegen in der Landschaft ihrer
Gegend, um bald hier, bald da Honig zu sammeln; wenn sie ihn aber beigebrecht
haben, bearbeiten sie ihn, weil sie Freude haben an seiner Süße. So meditieren
wir (vielerlei), um liebe zu Gott zu sammeln, aber wenn wir sie gesammelt haben
und besitzen, richtet sich unsere Aufmerksamkeit in der Kontemplation (allein)
auf Gottes Güte, weil die Liebe uns in ihr Süßigkeit finden lässt. Die
Sehnsucht nach der göttlichen Liebe führt uns zur Meditation, der Besitz dieser
Liebe aber zur Kontemplation…
Wenn
die Liebe jedoch in uns die Aufmerksamkeit der Kontemplation erweckt, lässt
diese Aufmerksamkeit ihrerseits eine größere und glühende Liebe entstehen, die
zu ihrer Vollendung kommt, wenn sie sich an dem freut, was sie liebt. Die Liebe
gibt uns Freude beim Anblick dessen, den wir lieben, und dieser Anblick schenkt
uns Freude an seiner göttlichen Liebe, so gibt es eine doppelte Bewegung von
der Liebe zum Anblicken des Geliebten und vom Anblicken zum Lieben; die Liebe
macht die Schönheit dessen, was wir lieben, schöner, und de Anblick dieser
Schönheit macht die Liebe liebevoller und freudiger… Die Liebe drängt unsere
Augen, die Schönheit dessen, den wir lieben, mit immer größerer Aufmerksamkeit
zu betrachten, und dieser Anblick zwingt das Herz, ihn immer glühender zu
lieben.

Quelle:
Texte zum Nachdenken – Franz von Sales – Feuer und Tau – Führung der Seele –
Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Ingeborg Klimmer – Hrsg.: von
Gertrude und Thomas Sartory – Herderbücherei

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