Plinio Correa de Oliveira
Es wäre eine arge Täuschung zu meinen, die Erziehungsarbeit der Kirche sei nur individuell und auf die Heranbildung christlicher Persönlichkeiten gerichtet, nicht aber auf Völker, Zivilisationen und Kulturen.
In Wirklichkeit hat Gott den Menschen als soziales Wesen geschaffen und ihn dazu bestimmt, in Gemeinschaft mit anderen an der gegenseitigen Heiligung zu arbeiten. Deshalb machte er ihn auch beeinflußbar. Wir spüren alle durch den Geselligkeitstrieb in uns die Neigung, unsere Ideen in gewissem Masse anderen mitzuteilen und Anregungen von ihnen zu bekommen. Das gilt für die Beziehungen von Mensch wie für die vom einzelnen zur Gesellschaft. Die Umwelt, die Gesetze und Institutionen, in denen wir leben, üben ihren Einfluß auf uns aus, haben eine pädagogische Wirkung auf uns.
Diesem Milieu und seiner Denkweise, die den Manschen durchdringt wie durch Osmose und wie durch die Haut, sich notfalls völlig zu entziehen, ist das Werk einer hohen und schwierigen Tugend. Die ersten Christen sind so dadurch, daß sie ihre katholische Überzeugung trotz der heidnischen Umgebung, in der sie lebten, vollständig bewahrten, nicht weniger zu bewundern als in dem Moment, wo sie den wilden Tieren im Kolosseum gegenübertraten.
So bilden die Kultur und Zivilisation eines Volkes wichtige Mittel, um auf die innere Haltung der Menschen Einfluß zu nehmen. Sind die Lebens – und Gesellschaftsform heidnisch, so tragen sie bei zum Zusammenbruch der Seelen, sie dienen zu ihrer Rettung, wenn sie katholisch sind.
Die Kirche kann also nicht uninteressiert daran sein, eine christliche Kultur hervorzubringen und sich damit begnügen, nur individuell Seelen zu betreuen.
Dennoch ist auch dies sehr wichtig, denn jede Seele ist durch die Einwirkung der Kirche, der sie bereitwillig Folge leistet, ein Licht oder ein Samenkorn dieser Kultur, deren Verbreitung und Förderung sie aktiv und energisch dient. Die Tugend leuchtet nicht nur selbst, sondern entzündet ihr Licht auch in anderen Menschen. Sie wirkt ansteckend, breitet sich aus und tendiert zu ihrer eigenen Umwandlung von der vorbildlichen Haltung des einzelnen über die Gesittung der Gesellschaft zu einer von katholischem Geist getragenen Kultur und Zivilisation.
Wie wir sehen, ist es eine Eigenheit der Kirche, eine christliche Lebens – und Gesellschaftsform hervorzubringen. Sie will ihre Früchte in einer sozialen Atmosphäre austeilen, die ganz und gar katholisch ist. Der Katholik muß nach einer katholischen Kultur streben, wie ein Mensch, in verschlossenem Keller sich nach Luft und Sonne sehnt und der gefangene Vogel nach freier Bewegung im Himmelsraum verlangt.
Das ist unser Endziel, unser großes Ideal. Wir gehen einer katholischen Kultur entgegen, die aus dem Materialismus der heutigen Welt erstehen kann, wie aus der Übersättigung und Verfallenheit der römischen Welt die mittelalterliche Kultur hervorging. Wir schreiten der Eroberung dieses Ideals entgegen mit Mut und Ausdauer, entschlossen, allen Hindernissen entgegenzutreten, sie alle zu besiegen, so wie die Kreuzritter nach Jerusalem gezogen sind. Denn wenn unsere Vorfahren zu sterben wußten, um das Grab Christi zu erobern, wie wollen nicht wir, Söhne der Kirche wie sie, kämpfen und sterben, um das zu restaurieren, was unendlich mehr wert ist als das kostbare heilige Grab des Heilandes, nämlich seine Herrschaft über die Seelen und Gesellschaften, die er geschaffen und errettet hat, damit sie ihn ewig lieben?