Paul Herzog von Oldenburg

Das Stoßgebet „Herz
Jesu, ich vertraue auf Dich“ finden wir sehr oft in Abbildungen des
Herzens Jesu, insbesondere unter dem Bild, das mit Hilfe der Anleitungen
der Hl. Faustyna Kowalska angefertigt wurde. Und überhaupt ruft uns die
Kirche dazu auf, Vertrauen in Gott, in die Muttergottes, in die
Göttliche Vorsehung zu haben.



In der Tat
ist diese Tugend äußerst wichtig, denn ohne sie ist es nicht möglich, zu
Gott eine persönliche Beziehung aufzubauen. Ohne Vertrauen bleibt Gott
ein Wesen außerhalb des realen und alltäglichen Leben, etwa so, wie sich
die Agnostiker Gott vorstellten: Als den Schöpfer des Universums, aber
völlig am weiteren Geschehen seiner Geschöpfe – Menschen und sonstige –
desinteressiert.



Kein Gläubiger wird heute meinen,
Gott hätte alles Erschaffen um sich danach sich zurückzuziehen und nicht
mehr einzugreifen. Wohl kaum ein praktizierender Katholik, vor allem
die, die eine Verehrung zum Herzen Jesu haben, werden so denken. Doch in
einer Welt, in der alles geplant wird und man alle möglichen
Widrigkeiten wie Schicksalsschläge, Krankheiten, Naturkatastrophen,
Unfälle usw. vorauszusehen versucht und sich entsprechend dagegen
absichert neigen wir unwillkürlich und unbeabsichtigt dazu dazu, mehr
Vertrauen in uns selbst, in die Krankenkasse, in die Sozialversicherung,
in den Staat, als in Gott zu haben. Aber nicht nur das: Wir in
Deutschland leben in einer Welt, die den Anspruch hat, nichts dem Zufall
zu überlassen. Wir leben in einer äußerst risikoscheuen Gesellschaft,
die sich der Illusion hingibt, daß sämtliche Härten im Leben vermeidbar
sind, wenn man sich davor absichert.



Doch früher, als
der Großteil der Bevölkerung auf dem Land lebte und von der
Landwirtschaft materiell abhängig war, wußten die Menschen, wie die
Natur dem menschlichen Plänen schnell ein Strich durch die Rechnung
machen konnte. Hagel, Ungewitter, Dürre, Krankheiten konnten ganze
Ernten und Herden vernichten. Der moderne Mensch, der seinen Obst und
sein Gemüse im Aldi kauft, kriegt gar nicht mit, ob irgendwo eine
Überschwemmung oder eine Dürre eine Ernte zerstört hat, denn er weiß
kaum, wo die Äpfel und Birnen, die er jeden Tag und zu jeder Jahreszeit
ißt, überhaupt gewachsen sind. Der moderne Mensch lebt unter der
Illusion, daß dank der Technik alles planbar geworden ist und dadurch
alle Risiken überwunden werden können.



Wer so denkt und
sein Leben danach gestaltet, kann versucht sein, Gott zu vergessen und
so zu leben, als ob es Ihn nicht geben würde – auch dann wenn der
betreffende glaubt und seinen Glauben auch praktiziert. Aber im Alltag
kann Gott leicht verdrängt werden. Das ist unsererseits nicht nur
undankbar Gott gegenüber, sondern ebenso ein großer Schaden für unsere
Beziehung zu Gott, also unser für spirituelles Leben. Denn der Aufruf
der Kirche, uns vertrauensvoll Gott hinzugeben, beabsichtigt auch, daß
wir unsere absolute Abhängigkeit von Ihm annehmen und bezeugen, daß wir
im Bewußtsein leben, daß wir ohne Ihn gar nicht existieren würden. Würde
Gott nur eine Sekunde schlafen, so würde das ganze Universum aufhören,
zu existieren. Unser Leben, unsere Existenz, wird immerfort von Gott
aufrecht erhalten und nicht von der Krankenkasse, nicht von der
Sozialversicherung, nicht vom Aldi.



In Matthäus 10, 30
heißt es: „Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle
gezählt“. Damit soll zum Ausdruck kommen, daß Gott alles, aber auch
wirklich alles über uns weiß. Er begleitet uns in unser Leben. Unsere
Leben, unsere persönlich Biographie, unsere eigene Lebensgeschichte
werden von Gott selbst begleitet. Er führt uns und immer wieder
schreitet Gott ein, um unser Leben in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Mit dem Wort Berufung meint die Kirche im engeren Sinne den Ruf eines
Menschen, ein gottgeweihtes Leben als Priester oder als Ordensmann- oder
Frau zu folgen. Aber im weiten Sinne des Wortes hat jeder Mensch eine
Berufung, denn jeden ruft Gott, etwas Bestimmtes, etwas Konkretes in
Seinem Plan zu erfüllen – wir müssen diesem Ruf nur folgen. Wenn wir
Vertrauen haben, wenn wir das Vertrauen in Gott pflegen als essentieller
Bestandteil unserer Beziehung zu Gott, werden wir mit der Zeit und mit
der Erfahrung lernen, was Gott von uns will, wie Er unsere Schritte
lenkt.



Wie man sein Leben mit dieser Einstellung
gestaltet, haben uns alle Heiligen in allen Jahrhunderten vorgelebt.
Doch vor allem bei den großen Ordensgründern wird deutlich, wie das
Vertrauen auf Gott Menschen zu Projekten anregt, wofür sie ansonsten
kaum die Vision und den Mut aufgebracht hätten. Bewundern wir das das
Vertrauen von Franz von Assisi. Hätte irgend jemand ahnen können, daß er
so Großes leisten würde, nachdem er sich von den Reichtümern seiner
Familie getrennt hatte. Oder betrachten wir das Vertrauen eines hl.
Ignatius von Loyola, der viele seiner besten Jesuiten nach dem neu
entdeckten Kontinent Amerika schickte, obwohl die
Entfaltungsmöglichkeiten für seine Gründung in Europa wesentlich größer
waren. Das Leben von Klemens Maria Hofbauer war eine Folge von
kolossalen Mißglücksfälle, bevor er sein Apostolat in Wien entfaltete
und somit zum „Apostel Wiens“ wurde – jeder andere Mensch, der nicht
sein Gottesvertrauen besessen hätte, hätte aufgegeben und als
gebrochener Mensch sein leben abgeschlossen.



Unmittelbar
vor Seiner Himmelfahrt sagte der Heiland zu den Aposteln: „Geht hinaus
in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“
(Markus 16, 15). Das war ein klarer Auftrag an die Apostel. Doch wie
knapp dieser Auftrag war! Er hat nicht gesagt, wohin sie zuerst reisen
sollten. Auch nicht, woher sie das nötige Geld und sonstige materiellen
Mittel nehmen sollten, um diesen Auftrag erfüllen zu können. Ebensowenig
werden die Methoden erläutert. Wie soll man diese oder jene
Schwierigkeit überwinden? Was soll man antworten, wenn die
Angesprochenen diese oder jene Frage stellen? Rein rational gesehen war
dieser Auftrag nur dann zu erfüllen, wenn der Heiland selbst, wahrer
Gott und wahrer Mensch, also allwissend und allmächtig, ihnen permanent
beistehen würde: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende
der Welt.“ (Matthäus 28, 20). Ohne Vertrauen und ohne eine ständige
lebendige Beziehung zu Gott wäre Christi Auftrag an die Apostel und an
die Kirche nicht nur unrealisierbar, sondern völlig irrational, geradezu
verrückt gewesen.



Diese Tatsache ist notwendig zu
betonen, denn viele Menschen haben heute etwa folgende Geisteshaltung:
„Ich darf in nichts vertrauen, außer in mir. Ich kann nur über das
sicher sein, worüber ich mich selber informiert und ich selber studiert
habe.“ Viele Menschen denken heutzutage so und verkennen völlig, daß das
unmöglich ist: Wenn ich nicht vertrauen würde, daß das, was mir Medien
wie Tageszeitung oder Fernsehen berichten, wahr ist, wäre es nicht nur
sinnlos sich zu informieren, sondern würde auch mein Leben erheblich
erschweren. Auch muß ich jeden Tag vertrauen, daß mein Essen mich nicht
krank macht – kaum jemand hat die Möglichkeiten, das selber
nachzuprüfen. Steige ich in ein Flugzeug oder in einen Zug, vertraue
ich, daß der Pilot oder der Zugfahrer sich nicht betrinken wird.



Sie
sehen selbst: Ohne Vertrauen, könnten wir gar nicht leben. Der extreme
Mangel an Vertrauen führt im normalen leben sogar zu psychischen
Krankheiten. Personen, die chronisch mißtrauisch sind, leiden leicht an
Verfolgungsangst oder an sozialer Phobie, also eine übertriebene Angst
vor der Kritik anderer. Menschen, die chronisches Mißtrauen haben, daß
ihnen irgend etwas fehlen wird, neigen dazu, geizig zu werden und völlig
unnütze Dinge zu sammeln, etwa Plastiktüten aus dem Supermarkt oder
alte Konservengläser.



Das bedeutet nicht, daß man mit
naiven Augen durch die Welt gehen soll. Ein gewisses Maß an Mißtrauen
ist richtig, aber vor allzu großen Mißtrauen sollte man mißtrauisch
sein. Wichtig ist, daß man Vertrauen in die Personen haben muß, die
unser Vertrauen verdienen: Zuallererst sind das das Herz Jesu und die
Muttergottes.



Doch das ist nicht immer einfach. Denn
zu vertrauen, wirklich zu vertrauen, erfordert, daß man sich hingibt,
daß man von sich selbst losläßt und sich in die Hände des Herzens Jesu
begibt. Wenn wir das aber so schaffen, wie das die Heiligen geschafft
haben, werden wir nicht nur laufen, sondern fliegen lernen; wir werden
mit den Flügen des Heiligen Geistes auf den Wogen der Göttlichen
Vorsehung fliegen. Die Heiligen, die auf ihr altes Leben zurückblickten,
hatten von diesem etwa den Eindruck, den wir von der Welt haben, wenn
wir in einem Flugzeug sitzend auf sie herabschauen. Es kommt uns alles
klein und unbedeutend vor. Das Vertrauen, macht uns aber großherzig,
öffnet unsere Horizonte, gibt uns neue Perspektiven, ermöglicht es, daß
wir Dinge wahrer Größe vollbringen, auch, wenn sie in den Augen der Welt
unbedeutend erscheinen mögen. Folgen wir deshalb dem Beispiel dieser
Heiligen und beten wir zum Herzen Jesu: „Herz Jesu, ich vertraue; hilf
meinem Mangel an Vertrauen!“

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